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Lieber Connor...

Lieber Connor,

 

 

 

wenn du diesen Brief liest, werde ich bereits tot sein. An einem anderen Ort, im Himmel, im Paradies, im Hades, wer weiß das schon? Das Jenseits hat viele Namen.

 

 

 

Ich weiß, zwischen uns ist nicht immer alles glatt gelaufen. Ich habe Fehler gemacht, du hast Fehler gemacht. Wir beide sind unter deren Last zerbrochen.

 

Aber ich weiß auch, dass du mir wichtig bist. Du bist einer der wichtigsten Personen in meinem Leben. Und ich habe wirklich versucht, dieses Gefühl zu unterdrücken, aber verdammt, Connor, ich liebe dich. Ich liebe dich immer noch so sehr, wie am Tag unserer ersten Begegnung.

 

Weißt du noch?

 

 

 

Es war einer dieser trüben Novembertage, an denen die Straßen wie leergefegt sind, der kalte Nieselregen beinahe lautlos auf den Asphalt fällt und silbergraue Wolken den Himmel bedecken. Ich war auf dem Weg in ein Café, um mich aufzuwärmen und in Ruhe nachdenken zu können. Wie der Zufall es so wollte, warst auch du an ebendiesem Tag dort und der einzig freie Platz war am Tresen neben dir. Im Hintergrund liefen leise die Beatles und ich weiß nicht mehr, wie genau es dazu kam, aber irgendwann haben wir zu reden begonnen. Wir waren so in unser Gespräch vertieft, dass wir die Zeit vergessen haben. Es war wunderbar.

 

Ja, einige Monate waren wir tatsächlich glücklich miteinander.

 

 

 

Aber wie so vieles im Leben musste auch diese Zeit, die zu der besten meines Lebens zählt, vorübergehen. Wir waren jung, dumm und unerfahren. Gott, wir waren viel zu jung. Wie hatten wir nur glauben können, das mit uns währt ewig?

 

Als das Baby kam, bist du gegangen. Es war einfach noch zu früh, du warst der Verantwortung nicht gewachsen, wolltest noch so viel erleben. Du wolltest nach Kanada, nach Schweden und weiß Gott wohin sonst noch.

 

 

 

Ich kann deinen Weg nachvollziehen, doch trotzdem wünschte ich, du wärst geblieben. Auch für mich war es ein Schock, aber ich habe versucht, das Beste aus der Situation zu machen. Vielleicht ist es egoistisch, von mir das zu sagen, aber diese Entscheidung konnte ich dir nicht verzeihen und ich kann es auch jetzt nicht. Werde es nie können. Du hättest in dieser Zeit für mich da sein sollen. Für das Kind. Aber du warst es nicht.

 

Ich lernte, ohne dich auszukommen. Doch schon bald kam die nächste erschreckende Nachricht. Ich hatte Krebs, die Chancen standen schlecht.

 

 

 

Und mit dem Krebs kamst auch du wieder in mein Leben. Ich weiß nicht, wie du es erfahren hast, aber eines Tages standst du an meinem Bett im Krankenhaus. Du hast dich für dein damaliges Verhalten entschuldigt, es tat dir aufrichtig leid. Aber ich habe dich abgewiesen. Der Tag, an dem du mich verlassen hast, war der schlimmste meines Lebens. Meine Welt ist zusammengebrochen. Ich dachte, es wäre besser, wenn du mich in Ruhe lassen würdest. Im Nachhinein weiß ich, dass es die falsche Entscheidung gewesen ist.

 

 

 

In den letzten Wochen vor meinem Tod hätte ich dich gut gebrauchen können. Ich hätte jemanden gebrauchen können, der mir Trost spendet, der mir Sicherheit gibt, der mit mir all die Sachen erlebt, die ich noch machen wollte, bevor ich sterbe: Das Cover des »Abbey Road« Albums nachstellen, meinetwegen nach Kanada reisen.  

 

Denn die Wahrheit ist, ich bin nie ganz über dich hinweggekommen.

 

Hätten wir uns zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort verliebt, hätten wir beide andere Entscheidungen getroffen, vielleicht wäre es ganz anders ausgegangen.

 

Ich wünschte, wir hätten einen Neuanfang, aber dafür ist es jetzt zu spät. Das Leben ist eben kein Wunschkonzert.

 

 

 

In Liebe, Lucy

 

 

 

࿇࿇࿇

 

 

 

Und das war alles, was ihm von ihr geblieben war. Jede Menge Kummer, ein Brief und eine alte Schallplatte von den Beatles.

 

 

 

John Lennons Stimme hallte in seinem Kopf nach:

 

»All you need is love, love, love is all you need.«

 

 

 

I. H.

 

 

Bild: amazon.de

 

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